Sackhüpfen – Little Big Planet Puppenspieler


Was wurde nicht alles über den Titel geschrieben? Bei der Presse ist die Sackpuppenhüpferei durchweg gut angekommen und es ist wirklich schwer, sich dem Charme des Spiels zu entziehen. Und wer von der Disc nicht genug bekommen hat, kann ganze Pakete an neuen Kostümen, Sticker oder Levels herunterladen – das werden aber wohl nur die Enthusisten unter uns wirklich machen. Aber fern ab der Euphorie, die ja mittlerweile etwas zurückgegangen ist, kann man nun mit etwas Abstand ein paar Dinge näher beleuchten

LBP bleibt ein hervorragendes Spiel, keine Frage. Es ist zu recht eines der besten Spiele des Jahres 2008, hat sich millionenfach verkauft (auch wenn böse Zungen behauptet, da wäre viiiiel mehr drin gewesen 😉 ) und demnächst erscheint eine portable Version des Hüpfspiels – womit wir beim Thema wären! Was spielen wir denn da?

Eigentlich ist LBP die Reinkarnation des Jump ’n Run Genres, nachdem sich der Nintendo-Klempner vorrangig auf 3D eingestellt hat und Sonic im 3D-Wahn verloren ging (um jetzt nur mal die beiden Ikonen der ersten Hälfter der 90er-Jahre zu nennen). SEGA rudert mittlerweile wieder zurück und möchte nächstes Jahr wieder einen 2D-Hüpfer anbieten (wobei die Fans das schon sehr viel länger fordern, siehe Sonic HD) und auch  Nintendo hat erkannt, dass man mit dem 2D-Vorbild des Nintendo DS auch auf der Wii kräftig absahnen kann. Folge: Der Titel soll auf die Wii portiert werden – inklusive Coop für 4-Spieler, allerdings ohne Online-Support und „nur“ in 2D.

Da bietet LBP so schon viel mehr: Einen starken Level-Editor, den kompletten Fokus auf Online-Gaming und zahlreiche Add-On-Möglichkeiten. Insgesamt betrachtet ist LBP aber eigentlich nichts anderes als ein relativ simples Jump ’n Run. Es wird technisch natürlich viel geboten, d.h. es gibt eine aufwändige Physik-Engine, HD-Grafiken und tolle Lichteffekte – aber im Grunde genommen hüpfen wir mit Sackpuppen (!) durch bescheuerte Phantasiewelten (!!) und setzen uns Pornobrillen oder Bauarbeiterhelme auf!!! Was soll das eigentlich alles?

Sony hatte 2007 und 2008 einen riesigen Hype wegen LBP veranstaltet: Es sollte DER Systemseller der PS3 werden und die Erwartungen waren gigantisch. Das innovative Konzept: Man verbindet klassisches Videospielen mit Web 2.0-Elementen und setzt auf die Kreativität der Spieler, die durch ein kreatives Spiel zum „mitmachen“ angeregt werden. Zugegeben: Ich war noch nie sonderlich kreativ beim Erstellen von eigenen Inhalten in Videospielen und zähle mich eigentlich eher zur Kategorie „Videospiel Konsument“. Und nun sollen all die Couch-Patatoes auf der Welt ein tolles Spiel noch besser machen, weil sie kreative Levels erstellen, die sich jeder Spieler runterladen kann? Klingt gut, aber zeigt auch:  Baut selbst, aber ihr sollt dazu Inhalte kaufen!

Videospiele sind damit ein Gerüst für Inhalte, die beliebig erweitert werden können. Guitar Hero oder Rock Band sind weitere Prominente Beispiele, die wohl nur den Anfang einer Kommerzialisierungswelle darstellen. Will man einen heißen Schlitten für Need for Speed XY kann man sich diesen dazu kaufen! Möchte man aktuelle Spielerdaten in Fifa, kann man sich diese dazu kaufen! Enthusisten konsumieren prächtig, kaufen Special Editions, Limited Editions, Exclusive Editions, Premium Editions und sind immer auf der Suche nach neuen Inhalten. Was nun nach einer allgemeinen Marktkritk klingt, ist eigentlich nur die Professionalisierung der Branche an sich und eine logische Konsequenz, dass sich das Medium Videospiel weiterentwickelt. Das haben Buch-, Film- und Musikindustrie schon lange hinter sich, aber Videospiele bieten direkte Erweiterungsmöglichkeiten, die bisher keine Kulturspartea anbieten konnte! Spieler können ihr Spiel erweitern, entweder durch eigene Kreativität oder durch die Kreditkarte. Möglich ist im Falle von LBP beides und deshalb versteht man auch den Hype um LBP: Wenn man als Kratos-Puppe in LBP rumlaufen möchte, geht das – man muss nur zahlen, das Level drum herum kann man selbst basteln (es sei denn, es gibt lizenztechnische Einschränkungen!). An sich ja auch nicht verkehrt, denn wer etwas entwickelt, soll dafür auch entlohnt werden! Der Beigeschmack ist aber etwas fad, wenn eine an sich geniale Idee zur Konsumplattform mutiert: Denn wann gibt es die Möglichkeit, Levels direkt weiterzuverkaufen? LBP-Reseller? Also in Form von: Spieler XY bietet Level XY für 1,99€ an und schon sind wir wieder bei der Diskussion um die Bezahlung virtueller Inhalte in Videospielen. Wird bei eBay für Gegenstände in Rollenspielen schon gemacht, Zeit ist Geld und wer die Zeit nicht hat, kauft sich den Inhalt dazu – auch wenn das ein Widerspruch in sich darstellt.

Aber bei Little Big Planet ist auch alles etwas anders und man merkt, dass hier selbst Enthusisten als kreative Entwickler am Werk waren: Die Welten sind allesamt höllisch phantasievoll gestaltet worden, das Spiel an sich bietet genug Inhalte von Haus aus an und es macht einfach Spaß, mit Freunden off- oder online zusammen die Welter zu erkunden. Um dabei jedes Mal wieder festzustellen, dass es sich um ein einfaches Jump ’n Run handelt, dass im Grunde genommen zu 90% aus laufen und springen besteht.

Meine Erwartungen hat es voll und ganz erfüllt und die oben genannte Kritik bezieht sich im Prinzip nur auf den Hype, der geschaffen wird, um Geld aus fertigen Inhalten zu generieren. Und vielleicht kaufe ich mir ja irgendwann ein LBP-AddOn und unterstütze damit den Prozess, Spiele nach belieben zu erweitern. Warum auch nicht, wenn es doch endlich möglich ist? Genug Leute haben ja früher Erweiterungen auf CD gekauft, dann geht es ja online nur schneller und besser. Ich hüpfe danach auch weiter mit Bauarbeiterkostüm herum (herrlich!), es macht halt einfach Spaß!

Das ist eigentlich die einzige Sache, die für mich als Spieler zählt. Zusammen mit Freunden Sackhüpfen veranstalten und Puppen anziehen. Irgendwie völlig albern und mit Puppen habe ich ja nie gespielt, das war doch immer nur was für Mädchen! Aber vielleicht versteht man jetzt, warum LBP ein Mittel zum Zweck sein kann:

– Viele nostalgische Erinnerungen bündeln, in ein einfaches Jump ’n Run packen und millionenfach verkaufen, mit der Absicht, dass neben der eigenen Produktivität viel dazugekauft werden soll! Oder:

– Ein altes Genre wieder mit Leben erfüllen, den Einstieg für viele, viele Spieler ermöglichen und genügend Erweiterungspotenzial für die Zukunft anbieten, damit man was für sein Geld geboten bekommt!

Geht die Rechnung nicht auf (das muss Sony ausrechnen 😉 ), macht es auch nichts, schließlich ist LBP seit langer Zeit wieder ein Jump ’n Run. Ein fast schon vergessenes Genre (früher die Königsdisziplin auf jedem Heimcomputer/jeder Spielkonsole), das bis auf wenige Ausnahmen ausgelutscht war/ist. Eine Hochburg der 80er und 90er Jahre mit dem Höhepunkte vor der „3D-Revolution“ durch PSX, Saturn und N64, danach kehrte gerade im 2D/2,5D-Bereich Ruhe ein.

Es gibt keinen Freifahrschein für grenzenlose Kreativität, die nur der Kunst an sich dienst, denn sonst geht ein Entwicklerteam baden (siehe Clover Studio). Media Molecule haben es aber geschafft, ein innovatives Konzept so zu etablieren, um es als Zugpferd einer bis dato teurer Spielkonsole zu vermarkten – ohne auf die kreative Ausrichtung des Produkts zu verzichten. Also kein „höher, schneller, weiter“ Konzept, dass deutlich einfacher gewesen wäre.  Man stelle sich mal das  (fiktive) Gespräch mit Publisher Sony vor:

„Wir wollen da so ein Jump ’n Run im 2,5D-Stil entwickeln. Das ist ja nicht mehr so neu und angesagt, aber wir mögen das. Darin springt man mit Puppen durch Levels. Die Puppen kann man mit Stoff überziehen und ihnen Hüte aufsetzen und Grimassen schneiden. Und man kann Levels selbst mit dem Editor generieren und der Community zur Verfügung stellen! Das Spiel wird mit Sicherheit einer der wichtigsten Titel auf Ihrer Plattform und eine neue Hauptmarke etablieren!“

Die Jungs und Mädels hätte ich sofort aus dem Büro getreten, wie kann man nur auf so einen Stuss kommen? Doch wie man sieht, hat die absurde Idee funktioniert. Media Molecule wollte keinen neuen 3D-Shooter herausbringen, kein neues Action-Adventure, kein neues RPG-Epos. Einfach nur ein Hüpfspiel mit Sackpuppen (herrlich das Wort, man möge mir den inflationären Gebrauch entschuldigen! 😀 Marketingtauglicher wäre „individuell gestaltete Avatare“, aber das geht mir auf den Keks) und LBP ist damit ein Lichtblick am kreativen Horizont des Massenmarkts geworden, weil Kreativität und innovative Ideen massenmarkttauglich UND mit Gewinnpotenzial ausgestattet wurden. Schön für uns, denn so können wir uns online treffen, um mit Sackpuppen um die Wette zu hüpfen – auch wenn es draußen dunkel ist und regnet. Hach sind Videospiele eine geniale Freizeitbeschäftigung! 🙂

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Vielen Dank für das Durchhalten bis zum Ende. Der Text ist mir irgendwann auf einer Bahnfahrt durch den Kopf gegangen und ich habe ihn dann auf dem Laptop festgehalten, um ihn ins Internet zu stellen. Wer einen roten Faden findet, kann sich glücklich schätzen, denn ich habe nicht darauf geachtet, einen einzuflechten. 😉 Vielleicht regt der Text trotzdem den/die eine/n oder anderen Leser/in an, etwas über die den Tellerrand hinauszublicken und wieder (oder erst jetzt!) in die LBP-Welt einzutauchen, mit all ihrem Hype drum herum. Da der Preis mittlerweile stark gefallen ist, dürfte dieser auch keine Barriere mehr darstellen. Bis demnächst, zur nächsten Kolumne!

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